Der Rindenrabenvogel
(Eine Geschichte zum Vorlesen)

Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Peter. Peter mochte für sein Leben gern Pommes frites und Kartoffelknödel, mit Soße und Nudeln. Auch Wurst- oder Käsebrote waren bei ihm sehr beliebt. Nur eines mochte Peter nicht, und das war die Brotrinde. Als er nun eines Morgens beim  Frühstück saß und wieder einmal die Brotrinde nicht essen wollte, geschah etwas Sonderbares. Als seine Mutter mit traurigem Gesicht das Küchenfenster öffnete, um die Sonne und frische Luft in das Zimmer zu lassen, hörte man ein lautes Flügelschlagen. Auf dem Fensterbrett landete ein riesengroßer, schwarzer Vogel. Peter erschrak sehr, denn der Vogel war doppelt so groß wie er selbst. Der Vogel marschierte zum Tisch und eins-zwei-drei, hatte er die Brotrinde vom Tisch aufgepickt.

Doch Peter konnte sich nicht recht freuen, denn ehe er sich's versah, hatte der Rinden-Rabenvogel ihn am Hemd gepackt und hob ihn hoch, hüpfte auf das Fensterbrett und flog mit ihm fort.

Hoch und immer höher flogen die beiden, und Peter fürchtete sich sehr.
Es wurde kalt um sie herum, und immer kälter und kälter. Schließlich waren sie auf der Spitze eines sehr sehr hohen Berges, und rund herum war nichts als kalte graue Steine. Dort hatte der Rindenrabenvogel aus dicken harten Ästen ein großes Nest gebaut, in dem schon viele Kinder saßen. Dort hinein setzte er auch Peter und flog wieder davon.

Als es Mittag war, kehrte der Rindenrabenvogel zurück, und trug in seinem Schnabel viele Brotrinden, und verteilte sie an Peter und die anderen Kinder. Nur Brotrinden bekamen sie, und weil sie so schrecklich hungrig waren, aßen sie alle bis auf den letzten Rest auf. Am Abend und am nächsten Morgen bekamen sie wieder viele Brotrinden; keine Nudeln, kein Fleisch, keine Soße.

Jedes Mal, wenn der Rindenrabenvogel kam, um Brotrinden zu bringen, brachte er ein kleines Mädchen oder einen Jungen mit, und wenn er wieder fortflog, nahm er eines der Kinder mit. 

Als der Rabe wieder einmal zum Füttern kam, weinte Peter bitterlich: "Ich will nach Hause zu meiner Mutti und meinem Papi! Ich will auch nie wieder eine Brotrinde liegen lassen!"

Da strich der Rindenrabenvogel ihm übers Haar, nahm ihn vorsichtig am Hemdzipfel und flog mit ihm vom Berg zurück bis nach Hause zu Peter.

Dort setzte er ihn wieder auf die Bank in der Küche, legte ihm noch ein Stückchen Brotrinde auf den Tisch und flog wieder davon. Da kam Peters Mutter in die Küche und sagte: "Peter, bist du eingeschlafen?"

Verwundert schaute Peter um sich, sah die Rinde auf dem Tisch liegen, aß sie flugs auf und lief zu seiner Mutter. Er schlang seine kleinen Arme um sie, und die Mutter lobte ihn: "Prima, heute hast du endlich einmal Deine Brotrinde aufgegessen. Schau mal aus dem Fenster, da hüpft ein kleiner schwarzer Rabe im Garten herum. "

Mit großen Augen blickte Peter auf den Vogel, und er allein wusste, dass dies wahrscheinlich ein Kind vom riesengroßen Rindenrabenvogel war.

 

anabel